Schriftliche Anfrage 19/12050: Fortbildungen bei der Berliner Polizei zum Thema häusliche Gewalt

Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Gollaleh Ahmadi und Bahar Haghanipour

Vom 13. Mai 2022 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 01. Juni 2022)

Antwort vom 13. Juni 2022 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 14. Juni 2022)

Link: https://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/19/SchrAnfr/S19-12050.pdf


Antwort auf die Schriftliche Anfrage Nr. 19/12050 vom 13. Mai 2022 über

Fortbildungen bei der Berliner Polizei zum Thema häusliche Gewalt

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Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt:


  1. Inwiefern ist das Thema häusliche Gewalt Teil der polizeilichen Ausbildung?

Zu 1.:

Themen im Kontext des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (sog. Istanbul-Konvention), insbesondere das Phänomen „Häusliche Gewalt“, sind in den Curricula für die Ausbildung von Dienstkräften für den gehobenen und mittleren Polizeivollzugsdienst fest verankert.

So wurde im Rahmen des Studiums zur Befähigung für die Laufbahn des gehobenen Polizeivollzugsdienstes an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin) das Thema „Häusliche Gewalt“ in den Modulen „Kriminologie II“ sowie „Kriminalistik“ implementiert.

Für die Ausbildung des mittleren Polizeivollzugsdienstes wurde 2017 das „Konzept zur Erhöhung der Kompetenz der Auszubildenden im mittleren Polizeivollzugsdienst der Polizei Berlin im Umgang mit Opfern von Straftaten“ eingeführt. Konkret beinhaltet es die Bereiche Viktimologie, polizeiliche Organisationsstruktur im Hinblick auf das Thema Opferschutz, häusliche Gewalt, Stalking und Psychotraumatologie. Das Thema „Häusliche Gewalt“ ist im Rahmen dieses Konzeptes mit Fokus auf den Opferschutz enthalten. Darüber hinaus wird im Fach „Eingriffsrecht“ die Thematik „Häusliche Gewalt“ in einem Umfang von achtzehn Unterrichtseinheiten vermittelt. Hierbei steht die rechtliche Betrachtung möglicher polizeilicher Eingriffsmaßnahmen im Vordergrund.

Ergänzend wird das Thema in den für die Ausbildung in beiden Polizeilaufbahnen verpflichtenden Verhaltenstrainingsseminaren aufgegriffen. Darin wird das polizeiliche Handeln und Verhalten im Hinblick auf die Betroffenen von Straftaten geübt. Als methodisches Mittel findet hierbei das Rollenspiel Anwendung. Den Nachwuchskräften soll ein empathischer und sensibler Umgang mit Betroffenen vermittelt werden. Ein Schwerpunkt liegt hierbei auf dem gedanklichen Einnehmen der Opferperspektive.


  1. Inwiefern finden bei der Berliner Polizei Fortbildungen speziell zum Thema häusliche Gewalt (im Sinne der Istanbul-Konvention) statt?

Zu 2.:

Die Polizei Berlin führt ein viertägiges Fortbildungsseminar „Einsatz häusliche Gewalt“ durch, das von allen Dienstkräften besucht werden kann. Weitere Fortbildungsseminare sind „Qualifizierung im Opferschutz – Häusliche Gewalt“ sowie „Richtervorführungen zur Gefahrenabwehr mit dem Schwerpunkt Häusliche Gewalt“.

Darüber hinaus ist das Thema „Häusliche Gewalt“ in zahlreichen weiteren Fortbildungsangeboten enthalten. Ferner steht eine themenbezogene Online-Lernanwendung zur Verfügung.


  1. Wie werden diese im Rahmen der Umsetzung der Istanbul Konvention weiterentwickelt?

Zu 3.:

Alle Fortbildungsangebote sowie Lehrinhalte werden ständig aktualisiert und unter Berücksichtigung neuer kriminologischer und soziologischer Aspekte angepasst.

Darüber hinaus stellt die Beteiligung der Polizei Berlin in der Fachgruppe „Polizei, Strafverfolgung und Justiz“ zur ressortübergreifenden Erarbeitung eines Berliner Landesaktionsplans zur Umsetzung der Istanbul-Konvention eine Überprüfung der Inhalte sicher.


  1. Was beinhalten diese Fortbildungen und wie sind sie strukturiert bzw. aufgebaut?

Zu 4.:

Einsatz Häusliche Gewalt (viertägiges Seminar):

  • Strafrechtliche Aspekte der häuslichen Gewalt
  • Gefahrenabwehrrechtliche Aspekte: Befugnisse aus dem Allgemeinen Sicherheitsund Ordnungsgesetz Berlin (ASOG Bln), insbesondere die Wegweisung
  • Mögliche Ursachen häuslicher Gewalt und Präventionsmaßnahmen
  • Vermittlung des polizeiinternen Qualitätsstandards zur Bearbeitung in Fällen häuslicher Gewalt
  • Kindeswohlgefährdung
  • Fragen des polizeiinternen Gefahrenmanagements, Erstellen von Gefahrenprognosen
  • Zivilrechtliche Schutzmöglichkeiten nach dem Gewaltschutzgesetz (GewSchG)
  • Aspekte der polizeilichen Dokumentation und Beweissicherung
  • Bearbeitungshinweise aus Sicht der Amtsanwaltschaft
  • Durchführung und Auswertung von Rollenspielen anhand von Beispielsfällen
  • Vorstellung von Hilfeeinrichtungen, u.a. Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen – BIG e.V., Berliner Notdienst Kinderschutz, Gewaltschutzambulanz der Charité Berlin
  • Vermittlung des proaktiven Ansatzes bei Fällen häuslicher Gewalt
  • Angebote und Aufgaben der BIG-Hotline
  • Besuch der Seminarteilnehmenden bei „BIG e.V.“

Qualifizierung im Opferschutz-Häusliche Gewalt (eintägiges Seminar):

  • Ablauf und Struktur der „Häuslichen Gewalt“ (Spirale der Gewalt)
  • Perspektive der Kinder im Rahmen eines Einsatzes, Auswirkungen auf die Entwicklung und Rollenbilder von Kindern und Jugendlichen (praktische Übungen)
  • Polizeieinsatz „Häusliche Gewalt“, Qualitätsstandards
  • Praktische Anwendung des „Proaktiven Ansatzes“.

Richtervorführung zur Gefahrenabwehr mit Schwerpunkt Häusliche Gewalt (zweitägiges Seminar):

  • Rechtsgrundlagen aus dem ASOG Bln sowie dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG)
  • Regelungsinhalte des GewSchG
  • Dienstkundliche Abläufe zum Thema „Häusliche Gewalt“
  • Entwicklung von Gefahrenprognosen
  • Behandlung eingebrachter Personen
  • Antragskonzept
  • Praktische Ausgestaltung und Übung.

Online-Lernanwendung:

Die Lernanwendung dient der Auffrischung und Vertiefung, gegebenenfalls auch der Erweiterung der Kenntnisse zum Thema „Häusliche Gewalt“ unter Einbindung des Themas „Stalking“.

  • Rechtliche Grundlagen
  • taktisches Vorgehen
  • polizeiliche Sachbearbeitung
  • Vorstellung ausgewählter Beschlüsse von Gerichten und deren Folgen für die polizeiliche Bearbeitung.

  1. Für welche Personen sind diese Fortbildungen vorgesehen und inwiefern sind sie freiwillig oder verpflichtend?

Zu 5.:

Die Fortbildungsangebote richten sich an alle Dienstkräfte der Polizei Berlin, insbesondere an Dienstkräfte, die im Funkwageneinsatzdienst der Polizeiabschnitte, in den Einsatzeinheiten der Bereitschaftspolizei und in der Kriminalitätsbekämpfung mit Einsätzen bei häuslicher Gewalt konfrontiert sowie an Dienstkräfte, die mit der polizeilichen Sachbearbeitung in diesem Themenkomplex betraut sind.

Die Angebote können eigenständig über ein internes Bildungsmanagementsystem gebucht werden. Eine Verpflichtung zur Teilnahme an diesen Fortbildungsveranstaltungen besteht nicht.


  1. Wie viele Personen haben in den letzten fünf Jahren an solchen Fortbildungen teilgenommen? (bitte nach Diensträngen und Geschlecht aufschlüsseln)

Zu 6.:

Die erbetenen Auskünfte und Daten für den Zeitraum vom 1. Januar 2017 bis zum 7. Juni 2022 sind den nachfolgenden Übersichten zu entnehmen. Die Anzahl der Teilnehmenden an der Online-Lernanwendung werden statistisch nicht erfasst. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass Fortbildungsveranstaltungen pandemiebedingt in den Jahren 2020 und 2021 stark reduziert werden mussten.

Dienstkräfte gesamt 445
davon weiblich 193
davon männlich 252

 

Dienstgrad weiblich männlich
EKHKin/EKHK 0 1
KHKin/KHK 2 2
KOKin/KOK 2 0
KKin/KK 0 1
PHKin/PHK 14 18
POKin/POK 59 100
PKin/PK 70 69
POMin/POM 23 32
PMin/PM 23 29
gesamt 193 252

  1. Durch wen werden die Fortbildungen durchgeführt (z.B. intern und extern)?

Zu 7.:

Die Fortbildungen werden durch Fachlehrerinnen und Fachlehrer sowie durch Verhaltenstrainerinnen und Verhaltenstrainer der Polizeiakademie durchgeführt.

Unterstützungseinrichtungen, wie u.a. die Initiative gegen Gewalt an Frauen – BIG e.V., Opferhilfe Berlin, Weisser Ring e.V., die Gewaltschutzambulanz der Charité Berlin oder Traumaambulanzen werden hierbei sowohl bei der inhaltlichen als auch bei der praktischen Ausgestaltung der Lehrveranstaltungen aktiv eingebunden.


  1. Inwiefern gibt es hierbei Kooperationen mit Initiativen, Frauenhäusern und anderen Akteur*innen aus dem Bereich?

Zu 8.:

Die Polizei Berlin konzentriert sich im Bereich der Aus- und Fortbildung auf die Zusammenarbeit mit der Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen – BIG e.V.. In den einzelnen Gliederungseinheiten der Polizei Berlin werden darüber hinaus deliktbezogene Fachveranstaltungen, Arbeitstreffen und Inhouseseminare unter fachlicher Einbeziehung von weiteren externen Akteurinnen und Akteuren sowie Initiativen geplant und durchgeführt. Exemplarisch seien hier Opferhilfe Berlin e.V., Weisser Ring e.V., Berliner Krisendienst, Kinder-, Jugend-, Mädchennotdienst erwähnt.


  1. Führt die Polizei Berlin Fortbildungen zum Thema Tätergewalt durch? Wenn ja, durch wen und gibt es in diesem Rahmen Kooperationen mit Initiativen oder anderen Akteur*innen der Zivilgesellschaft? Wenn nein, ist dies im Rahmen der Umsetzung der Istanbul Konvention geplant (Bitte Zeitplan darstellen)?

Zu 9.:

Entsprechende täterbezogene Aspekte fließen in die hier genannten Aus- und Fortbildungsangebote mit ein und finden insbesondere in den Seminarangeboten des Gefahrenmanagements Berücksichtigung.

Aktuell beschäftigt sich eine ressortübergreifende Projektgruppe unter Federführung der Senatsverwaltung für Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung mit der laut Istanbul-Konvention erforderlichen „Täterarbeit“. Die Polizei Berlin ist in dieser Projektgruppe vertreten. In diesem Zusammenhang werden auch Kooperationen mit externen Akteurinnen und Akteuren geprüft. Ein Zeitplan für eventuelle Maßnahmen lässt sich derzeit nicht darstellen.


Berlin, den 13. Juni 2022

In Vertretung

Torsten Akmann

Senatsverwaltung für Inneres, Digitalisierung und Sport

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