Vom 23. August 2022 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 29. August 2022)
Antwort vom 09. September 2022 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 19. Sep. 2022)
Link: https://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/19/SchrAnfr/S19-13033.pdf
Antwort auf die Schriftliche Anfrage Nr. 19/13033 vom 23. August 2022 über
Ermittlungsverfahren bei Hasskriminalität
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Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt:
- Wie viele Anzeigen, die dem Bereich Hasskriminalität zuzuordnen wären, wurden seit 2017 erstattet, und in wie vielen Fällen anonym? (Bitte nach Jahren und Delikten sortieren)
- Wie viele dieser Anzeigen wurden weiterverfolgt, wie viele eingestellt? Wie lange dauerten ggf. die anschließenden Ermittlungsverfahren und in wie vielen Fällen kam es zu einer Verurteilung der Täter*innen?
Zu 1. und 2.:
Zur Beantwortung wird auf die nachfolgenden Tabellen Bezug genommen. Diese enthalten für den Zeitraum vom 1. Januar 2017 bis 30. August 2022 eine Übersicht über die Anzahl der bei der Staatsanwaltschaft Berlin geführte Verfahren gegen bekannte Tatverdächtige (Js-Verfahren) und der Verfahren gegen unbekannte Tatverdächtige (UJsVerfahren) mit der Nebenverfahrensklasse „HASS“. Sie enthalten zudem Übersichten über die Anzahl höchstwertiger Erledigungen in den Js- bzw. UJs-Verfahren mit der Nebenverfahrensklasse „HASS“, eine Übersicht über die Anzahl der bisher eingetragenen gerichtlichen Entscheidungen zu den Beschuldigten aus den Js-Verfahren mit der Nebenverfahrensklasse „HASS“ und Übersichten über die Verfahrensdauer in Tagen von der Erfassung bis zur staatsanwaltschaftlichen Erledigung der Verfahren bezüglich Js- und UJs-Verfahren mit der Nebenverfahrensklasse „HASS“.
Der folgenden Tabelle ist die Anzahl der Js- und UJs-Verfahren mit der Nebenverfahrensklasse „HASS“, die im Zeitraum 01.01.2017 bis 31.12.2018 bei der Staatsanwaltschaft Berlin eingegangen sind, zu entnehmen:
[Tabellen siehe PDF, S. 2-14: https://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/19/SchrAnfr/S19-13033.pdf]
- Inwiefern kam es zu Fällen, in denen die Erstattung von Anzeigen direkt bei der Aufnahme zurückgewiesen wurden, und wenn ja, inwiefern kam es zu einer nachträglichen Überprüfung der Vorgänge und welche dienst- oder strafrechtlichen Konsequenzen hatte dies für die betreffenden Beamt*innen zur Folge?
Zu 3.:
Daten im Sinne der Fragestellung sind im automatisierten Verfahren nicht recherchierbar.
- Über welche internen Mechanismen wird kontrolliert, dass die Aufnahme von Anzeigen grundsätzlich korrekt verläuft und die Betreffenden ernstgenommen und ausreichend beraten werden?
Zu 4.:
Die polizeiliche Anzeigenaufnahme wird in einer internen Geschäftsanweisung geregelt. Die Qualitätskontrolle erfolgt durch die jeweilige Führungskraft. Bezüglich einer ordnungsgemäßen Anzeigenaufnahme durch die Dezernentinnen und Dezernenten des Tagesdienstes der Staatsanwaltschaft Berlin existieren keine internen Kontrollmechanismen. Eine entsprechende Notwendigkeit wurde und wird bislang nicht gesehen.
- Inwiefern können sich Betroffene oder Pressevertreter*innen über den Stand der laufenden Ermittlungen informieren?
Zu 5.:
Auskunfts- und Akteneinsichtsrechte für Privatpersonen sind den Regelung der §§ 475, 479 der Strafprozessordnung (StPO) zu entnehmen. Pressevertreterinnen bzw. Pressevertreter können sich zur Informationsgewinnung an die Pressestelle der Generalstaatsanwaltschaft Berlin wenden.
- Inwiefern wird sichergestellt, dass die Ermittlungen möglichst zügig vollzogen werden und es nicht zu untragbaren Verzögerungen kommt?
Zu 6.:
Durch die Polizei Berlin werden Strafanzeigen zuständigkeitshalber an eine Ermittlungsdienststelle übergeben und dort bis zur Abgabe an die Staatsanwaltschaft Berlin bearbeitet. Im Polizeilichen Landessystem zur Information, Kommunikation und Sachbearbeitung (POLIKS) ist eine automatisierte Fristenüberwachung implementiert.
Bei der Staatsanwaltschaft Berlin werden in den jeweiligen Abteilungen verschiedene Verfahrenslisten geführt, welche eine Kontrolle der zeitgerechten Bearbeitung der Verfahren durch die Abteilungsleitungen bzw. Hauptabteilungsleitungen ermöglichen. Die „Resteliste“ zeigt alle durch die Geschäftsstellen auf die Dezernentinnen bzw. Dezernenten gestellten Vorgänge an, die älter als zwei Monate sind. Die „monatliche Liste aller offenen Verfahren“ ist nach Dezernaten und innerhalb des Dezernats nach der Dauer (3, 6, 9 oder 12 Monate) der offenen Verfahren sortiert. Die quartalsweise erstellte „12-Monatsliste“ enthält eine Übersicht über sämtliche mehr als 12 Monate alten und noch offenen Ermittlungsverfahren jeder einzelnen Geschäftsstelle. In der monatlichen „Haftliste“ werden alle Beschuldigten ausgewiesen, die sich in Haft befinden oder haftverschont sind, um dem besonderen Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen Rechnung tragen zu können.
- Inwiefern findet eine Abstimmung über laufende Ermittlungen zwischen den Bundesländern oder verschiedenen Behörden statt, und wie positioniert sich der Senat zu Vorwürden, dass es Fälle gegeben hat, in denen es in anderen Bundesländern bereits zu Verurteilungen in Fällen gab, zu denen in Berlin noch danach weiterermittelt wurde?
Zu 7.:
In grenzüberschreitenden Sachverhalten finden im Einzelfall zwischen den Dezernentinnen bzw. Dezernenten der Staatsanwaltschaft Berlin und den Dezernentinnen bzw. Dezernenten anderer Staatsanwaltschaften Abstimmungen statt, z.B. um Verfahren, welche in einem besonderen Sachzusammenhang zueinanderstehen, in einem Sammelverfahren zusammenfassen und einer einheitlichen Sachbearbeitung zuführen zu können oder grundsätzliche Zuständigkeitsfragen zwischen den Behörden klären zu können.
Zeitliche Abweichungen in der Ermittlungsarbeit sind von verschiedenen Einflussfaktoren wie bspw. dem Vorgangsaufkommen bei Polizei und Justiz, dem verfügbaren Personal, der technischen Ausstattung und der zeitlichen Bearbeitung von Auskunftsersuchen an Dritte abhängig.
- Welche Möglichkeiten haben Anzeigesteller*innen, gegen eine abgelehnte Anzeige oder ein eingestelltes Verfahren vorzugehen und wie werden sie über diese Optionen informiert?
Zu 8.:
Sollte eine Dienstkraft der Polizei Berlin bei der polizeilichen Anzeigenaufnahme zu einem relevanten Sachverhalt keine Strafanzeige bzw. keinen Bericht gefertigt haben, besteht die Möglichkeit der Beschwerde gegen diese Dienstkraft. Darüber hinaus werden seitens der Polizei Berlin in derartigen Fällen grundsätzlich disziplinarrechtliche sowie ggf. strafrechtliche Schritte geprüft.
Gemäß § 171 StPO hat die Staatsanwaltschaft, wenn diese nach Abschluss der Ermittlungen die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens verfügt, die Antragstellerin bzw. den Antragsteller unter Angabe der Gründe zu bescheiden. Unter den Voraussetzungen des § 171 Satz 2 StPO ist der Antragsteller bzw. die Antragstellerin hierbei über die Möglichkeit der Beschwerde und die dafür vorgesehene Frist zu belehren. Jedem Antragsteller und jeder Antragstellerin steht jedoch auch die an keine Frist gebundene Beschwerde im Wege der Dienstaufsicht zu.
- Inwieweit werden speziell die Anzeigen von digitaler Hasskriminalität verfolgt – etwa Morddrohungen, rassistische, verfassungsfeindliche oder sexistische Kommentare etc. –, welche Kriterien müssen für die Erstattung der Anzeige erfüllt werden und inwiefern wird sichergestellt, dass die aufnehmenden Beamt*innen diese Regelungen einhalten?
Zu 9.:
Vor dem Hintergrund des Legalitätsprinzips werden Strafanzeigen wegen des Tatvorwurfs digitaler Hasskriminalität in gleicher Art und Weise wie Strafanzeigen wegen anderer Tatvorwürfe behandelt. Die Ermittlungen werden aufgenommen, soweit zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine verfolgbare Straftat vorliegen.
Strafanzeigen können in jeder Polizeidienststelle oder über die Internetwache der Polizei Berlin erstattet werden. Die Standards für die Entgegennahme von Strafanzeigen sind durch eine Geschäftsanweisung der Polizei Berlin geregelt. Strafanzeigen unterliegen, wie auch alle weiteren polizeilichen Tätigkeiten und Maßnahmen der Qualitätskontrolle durch die jeweiligen Führungskräfte.
Soweit durch die Dezernentinnen und Dezernenten des Tagesdienstes der Staatsanwaltschaft Strafanzeigen aufgenommen werden, leiten diese die Anzeigen der Auszeichnungsstelle zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens weiter. Die Prüfung eines Anfangsverdachts einer Straftat bzw. die Veranlassung der ggf. erforderlichen Ermittlungsmaßnahen obliegt anschließend der zuständigen ordentlichen Dezernentin bzw. dem zuständigen ordentlichen Dezernenten.
- Inwieweit ist der Bereich Hasskriminalität, insbesondere im digitalen Bereich, Teil von Ausbildung und Fortbildungen bei der Polizei Berlin und inwiefern ist die Teilnahme verpflichtend?
Zu 10.:
Das Thema Hasskriminalität ist fester Bestandteil der Aus- und Fortbildung in der Polizei Berlin. In verschiedenen Seminaren zur politischen Bildung sowie zum Verhaltens-, Kommunikations- und Konfliktbewältigungstraining sind Schwerpunkte zur intensiven und dauerhaften Bildungsarbeit gegen Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und jegliche Form des Extremismus sowie zur Stärkung einer wehrhaften Haltung gegenüber extremistischen Ideologien seit langem fest verankert. Die Teilnahme an solchen Seminaren, z.B. an dem Anti-Gewalt-Projekt MANEO (Antidiskriminierungsarbeit und Gewaltprävention) ist für alle Nachwuchskräfte der Polizei Berlin verpflichtend.
Berlin, den 9. September 2022
In Vertretung
Torsten Akmann
Senatsverwaltung für Inneres, Digitalisierung und Sport